Ultra verbieten
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Ultra verbieten

Mar 26, 2023

Die Gesundheit Großbritanniens ist ein nationaler Skandal, nicht nur wegen des Zustands des NHS, sondern weil die Regierung sich weigert, Maßnahmen in Bezug auf unsere Ernährung zu ergreifen

Im April 1994 schworen die CEOs der sieben größten Tabakkonzerne der USA vor einem Senatsausschuss unter Eid, dass Nikotin „nicht süchtig macht“. Damals wurde geschätzt, dass 3.000 amerikanische Kinder von diesen Unternehmen jeden Tag dazu gebracht wurden, mit dem Rauchen zu beginnen.

Letzten Montag hätte die BBC-Sendung „Panorama“ diese Szene mit den britischen Lebensmittelherstellern beinahe wiederholt. Bei den fraglichen Produkten handelt es sich um hochverarbeitete Lebensmittel (UPF). Die Hersteller leugnen den Schaden, den diese Produkte anrichten könnten, ebenso hartnäckig wie einst die Tabakmanager, und die Folgen könnten ebenso tödlich sein.

Mit steigender UPF-Menge, die wir zu uns nehmen, steigen auch die Krebs- und Diabetesraten. Vollgepackt mit Zusatzstoffen, die in winzigen Aufdrucken auf den Seiten der Packungen prangen, machen diese Lebensmittel 57 % der Energieaufnahme der Briten aus. Dies ist der höchste Wert in Europa, verglichen mit 14 % in Frankreich und 13 % in Italien. 63 % der Erwachsenen in England sind von Übergewicht oder Fettleibigkeit betroffen, einer der höchsten Anteile in Europa. Es scheint nun unwiderlegbare Beweise dafür zu geben, dass eine solche Ernährung nicht nur das Risiko für Diabetes und Krebs, sondern auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz erhöht.

Ich habe vier Bücher zu diesem Thema vor mir, die alle gerade erst veröffentlicht und, wie man mir sagte, viel gelesen wurden. Es handelt sich um „Ravenous“ von Henry Dimbleby, „Ultra-Processed People“ von Chris van Tulleken, „Food for Life“ von Tim Spector und „Unprocesssed“ von Kimberley Wilson. Über UPF sagen alle eindeutig das Gleiche. Der Epidemiologe Spector ist unverblümt. „Das ist eine Zeitbombe, eine Katastrophe, und wir laufen hinein.“ Zusammen mit Panorama ergibt das vier Lesungen und eine Beerdigung.

Panorama zeichnete die Forschung zu Emulgatoren, Süßungsmitteln wie Aspartam und einer Chemikalie, PBA, auf, die aus Plastikbehältern austritt. In einer unheimlichen Wiederholung der Tabak-Saga enthüllte das Programm, dass unabhängige, von der Food Standards Agency (FSA) der Regierung überprüfte Untersuchungen zwar überwältigend alarmierend waren, die auf der anderen Seite gesammelten Beweise jedoch irgendwie von den Unternehmen selbst finanziert wurden. Noch auffälliger war, dass die Hälfte der professionellen Mitglieder des Ausschusses für Toxizität, der die FSA berät, frühere oder aktuelle Verbindungen zur Beratung von Lebensmittelunternehmen hatte. Dieses wichtige Gremium hatte sich offenbar in den letzten zehn Jahren nicht für ein Verbot von Lebensmittelzusatzstoffen in Großbritannien ausgesprochen.

In der Panorama-Dokumentation ging es nicht um das nicht minder heikle Thema der Transfette, einer Lebensmittelzutat, die mittlerweile in vielen Ländern, darunter auch von der US-amerikanischen Food and Drug Administration, als „nicht allgemein als sicher anerkannt“ verboten ist. Es wird geschätzt, dass durch dieses Verbot jährlich 90.000 Amerikaner von einem frühen Tod verschont bleiben. Im Jahr 2010 weigerte sich der damalige britische Gesundheitsminister Andrew Lansley, sie zu verbieten. (Sowohl er als auch sein Sonderberater hatten, wie das Bureau of Investigative Journalism enthüllte, für PR-Firmen gearbeitet, die die Lebensmittelindustrie vertreten hatten.) Der nächste Schritt einer britischen Regierung in Sachen Ernährung ist die bescheidene Steuer auf gezuckerte Getränke 2016 von David Camerons Regierung eingeführt.

So skeptisch wir auch gegenüber der apokalyptischen Hysterie sein mögen, es scheint verrückt, ein so eklatantes Versagen der Vorsorge zu vernachlässigen. Dies ist keine Nanny-State-Angelegenheit. Es ähnelt eher einer freiwilligen Einführung des Sicherheitsgurts oder der Förderung des Rauchens in Schulen. Ultra-Processing – also die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verlängern oder das Verlangen nach mehr zu stillen – erhöht deutlich das Risiko einer chronischen Erkrankung. Die Gesundheitsversorgung in Großbritannien steht unter großer Belastung. Doch die Maßnahmen, die die Belastung verringern könnten, abgesehen von der Abwendung chronischer Krankheiten, werden dadurch behindert, dass die Regierung der Beharrlichkeit eigennütziger Lobbygruppen nachgibt. Alle sind jetzt ermutigt in einem Post-Brexit-Umfeld, in dem weniger und nicht mehr Regulierung gefordert wird.

Die Gesundheitsergebnisse Großbritanniens verwandeln sich von einer nationalen Schande in einen Skandal. Diese Studien zeigen, dass der Fehler – der Großbritannien von den meisten vergleichbaren Systemen im Ausland unterscheidet – nicht der Zustand seines Gesundheitswesens ist, sondern vielmehr der Zustand seiner nationalen Ernährung. Wenn nichts anderes dies verdeutlicht, dann ist es die Tatsache, dass die gesunde Lebenserwartung der ärmsten Menschen Englands stärker von der der reicheren Menschen abweicht als in fast jedem anderen großen OECD-Land. Auch die Aufnahme von hochverarbeiteten Lebensmitteln ist unterschiedlich.

Es sollte eine Massenkampagne gegen Ultra-Processing geben. Aktivisten wie Jamie Oliver und Henry Dimbleby schreien seit Jahren in dieser Wildnis. Solange dies so weitergeht, gibt es keine Möglichkeit, die körperliche und geistige Gesundheit des Landes zu verbessern und den NHS nicht zu retten.

Simon Jenkins ist Kolumnist des Guardian